Schrauben wir die Temperatur jedoch erst einmal wieder hoch und versetzen uns nach Freiburg im August 2003. Der sogenannte Jahrhundertsommer. Die Hitze scheint den Asphalt zum Platzen zu bringen.
Morgens alle Fenster aufzureissen, damit kühlere Luft die Zimmer fluten kann, nützt nichts. Die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht sind verpufft, wie die Hoffnung auf baldige
Abkühlung. Die ist jetzt wohl nur noch in den Kühlhäusern der Schlachthöfe zu finden - oder in Tiefgaragen. Und in solch einer, am Stadtrand von Freiburg, verbringen Tele ihre
Sommerfrische, um an ihrem neuen, zu diesem Zeitpunkt noch unfertigen, Album zu feilen. Genauer gesagt, in einem zum studioähnlichen Probelokal umfunktionierten Lagerraum, der sich auf dem
tiefsten Parkdeck befindet. "Das spart dem Label eine Menge Geld", meint Stefan Wittich, Schlagzeuger, als ich mich bewundernd zur Professionalität dieses Raumes unter Tage äussere. Die
Band ist beim Hamburger Independent Label Tapete (siehe auch Niels Frevert, Besser, Erdmöbel, d.Red.) gerade in der vorderen Reihe der Hoffnungsträger und hat sich mit ihrer brit-poppigen
EP "Now Now Now" viele Freunde gemacht. In der Spex und im Rolling Stone wunderte und erfreute man sich der Radiotauglichkeit der Musik mit den wenig geheimniskrämerischen (deutschen) Texte von
Sänger Fransceso Wilking. Es nützte jedoch wenig, wenn eine handvoll Begeisterte in den wichtigen Musikredaktionen verlauten lassen, sie würden auf das was da noch so komme gespannt
warten. Tele sind da überaus pragmatisch: sie investieren reichlich in diese Platte, und irgendwann darf es sich auch mal lohnen.
Zwei Meter über uns thront ein Haufen Mietparteien in einem grobschlächtigen Wohnblock. Aber wegen Lärmbelästigung habe sich, dank der mit Krankenhausmatratzen isolierten Decke,
bislang niemand beschwert. Zudem wurde ich mit dem Auto direkt vor die Tür dieses Sommerlochs unter Tage gefahren. Ideale Bedingungen also um eine Platte zu machen. Und Tele arbeiten im Akkord.
Ab spätestens zwölf Uhr nachmittags sei hier unten immer jemand anzutreffen. Obwohl der Grossteil von Tele Freiburg nach dem Studium bereits hinter sich gelassen hat, wollte man sich von
dieser sagenhaften Probegelegenheit nicht trennen. Während ich diesen Prozess von Ausprobieren und Verwerfen beobachte, muss ich meine Erwartungen korrigieren: ich hatte mehr Ausgelassenheit
erwartet, mehr Abhängertum und Utopien-Spinnerei. Es gibt hier unten zwar keine Stechuhr, aber es gilt, keine Zeit zu verlieren. Während ihrer Arbeit an diesem neuen Album werden sie von
Vorbildern angetrieben. Bands und KünstlerInnen wie The Police, Common, D'Angelo oder gar Me'shell Ndegoshello. Auf Prefab Sprout können sich auch alle einigen. Gitarrist Tobias
Rodäbel schwärmt von Genesis und Peter Gabriel. Tele wollen sich aber nicht von der aktuellen deutschen Rock/Popszene abgrenzen. Entscheidend sind wohl die Hörgewohnheiten, die Tele
beeinflussen. Es herrscht eine grosse Nähe zur angloamerikanischen Singer/Songwriter Tradition. Tele betonen, bei ihrer Suche nach dem Sound nach allen musikalischen Stilrichtungen Ausschau zu
halten. Am Ende zähle jedoch, ob der Song Gefühl hat und Atmosphäre verbreiten kann. Aber noch ist davon wenig zu hören. Während der Rest der Nation nach einer gesetzlichen
Einführung der Siesta lechzt, sind Tele im Sommer 2003 noch dabei, Ideen zusammen zu führen. Der VÖ-Termin für die Platte ist für jenen Herbst angesetzt. Mit dem
Perfektionismus, mit dem hier unten vorgegangen wird, scheint diese Deadline allerdings utopisch.
Alle paar Stunden kriechen Tele dann doch ans Tageslicht. Sie gehen Kaffee trinken, in einer italienischen Eisdiele weiter die Strasse runter. "Der beste Kaffee, den man hier in Freiburg bekommen
kann", beteuern sie unisono. Der dicke Besitzer der Diele nickt uns mürrisch zu, als wir uns an einem wackeligen Tischchen niederlassen. Schwer zu sagen, ob er sich über unsere Gesellschaft
freut, obwohl Tele mittlerweile zur Stammkundschaft zählen. Francesco, seine Mutter ist Italienerin, spricht Italienisch mit römischen Akzent, das kommt ihnen als Bonus zugute. Mittlerweile
haben sich Tele auch mal Besteck von der netten Frau des Eisdielenbesitzers geliehen (und um ein Haar verschlampt). Zum Dank schenkten die Jungs dem Ehepaar einen der ersten Rough Mixe. Nicht die
Musikpresse bekommt also die neuen Lieder als erstes zu hören, sondern einer, der aussieht wie ein Kinderschreck und ständig fragt, wann Tele nun endlich im TV zu sehen wären.
Höfliches Schmunzeln, vereinzeltes Schulterzucken. In jenem Sommer wurde es damit nichts mehr.
Inzwischen stehen wir wieder zwischen all dem Musikgerümpel in der Tele´schen Musikerwohnung, und die berühmte Summe der einzelnen Teile ist noch nicht auszumachen. Der Wechsel Teles
vom Hamburger Hans-Dampf-Label Tapete zur Spree-Diva Universal (das klassische Märchen: Rough-Mix geht durch alle möglichen Hände, und der letzte in der Kette arbeitet bei Universal -
und der gibt ihn nicht wieder her), hat für Aufsehen gesorgt. Viele witterten Verrat an der Independent-Seele. Tatsächlich finden sich solche Diskussionen in Deutschland immer noch da, wo
ein Genre noch stahlhart abgegrenzt und die Nichtbeachtung dieser Gesetze einem Verbrechen an der Menschheit gleichkommt. Natürlich geht es hierbei um die Verteidigung von Raum: Tele haben mit
"Wovon sollen wir leben" ein grenzüberschreitendes Wagnis unternommen, dies aber unbeabsichtigt. Denn es gibt nur wenige Bands im deutschsprachigen Raum, die Independent als ihren Ursprungsport
anführen, dabei aber Instrumentierung und Songwriting so souverän beherrschen, um damit eine bleibende musikalische Atmosphäre schaffen. Eine Band, die nach gesungenen Passagen wie
"Rot ist die Farbe der Liebe, die Farbe der Liebe ist Rot" nicht klarstellen wollen, dass dieser Text bitteschön so und so zu verstehen sei.
Nun stehen sie vor mir wie kleine Jungs, die beim Klauen erwischt wurden, und beteuern immer wieder: unser Verbrechen ist die Liebe zur guten Musik! Aber Tele sind mit sich und "Wovon sollen wir
leben" im Reinen. "Wenn die Platte sich nicht verkauft, dann haben wir immer noch die Gewissheit, dass wir keine andere Platte machen wollten", versucht es Stefan auf den Punkt zu bringen.
Später am Tag zeigen mir Tele noch ihren neuen Proberaum, den sie sich mit der Band Geschmeido teilen werden. Ein Klinkerbau, gelegen in einem schönen Innenhof, eingeschlossen zwischen
Wohnhäusern, an dem sich verwunschen der Efeu rankt. Als Patrick die Türe aufzieht, und die Neonröhren anspringen, blicken wir in einen gleissend hellen Raum, der einem Nahtod-Erlebnis
gleichkommt. Ein weiss gestrichener Schlauch, der im starken Kontrast zur erdigen, ockerfarbenen Umgebung des Freiburger Tiefgaragenraumes steht. Eine weitere Klein-Baustelle. "Wir haben leider nicht
so oft Zeit, hier mitzuarbeiten. Das machen alles Phillippe und Franz (Frowein von Geschmeido), und Stefan (Schlachter, ebenfalls Geschmeido)", erklärt mir Stefan. Es riecht nach intensiver
Renovierarbeit, einem Geruch, dem man im Zuge der Sanierungswut in Ostberlin an allen Ecken und Enden begegnet. In ein paar Wochen sollen hier dank den Geschmeidos die Umbauarbeiten abgeschlossen
sein. Es wird also einen definitiven Ort für die Entstehung der Musik geben.
Doch im Augenblick gibt es diesen konkreten Ort noch nicht, weder ortsbezogen noch was ihre Musik angeht. Wo gehören wir hin? So könnte der Untertitel ihres Albums lauten. Neben einer
Wohnung, die eher einer gemütlichen Baustelle gleicht, führen Tele zudem ein Leben auf der Autobahn. "Berlin ist momentan ein vertrauter Rastplatz, oder ein Hafen, in dem man einen festen
Liegeplatz hat", meint Martin. Der arbeitet eigentlich in München, und nutzt regelmässig die Wohnung im Prenzlauer Berg als Ausgangspunkt für Probe, Tour oder die sonstigen
bandspezifischen Termine. "Dann hält regelmässig ein schwarzer Tourbus vor der Tür, wir laden unser´n Kram ein und dann uns. Hinten kann man zu sechst sitzen, und es gibt einen
kleinen Fernseher zum Glück. Für den muss man sich ganz schön den Hals verrenken. Trotzdem ist er ein Segen" schmunzelt Stefan. Klingt nach ein wenig Geborgenheit, zwischen den Orten.
Tele 2004
Text: Diana Krebs und Christian Biadacz
Bilder: Bandarchiv (1-4), Marie Klein (Live), Christian Biadacz (Band)
Mehr zu Tele unter www.mixdieemotions.de
Die CD "Wovon sollen wir leben" (Universal) gibt es nicht nur im Internet oder in den einschlägigen Medienmärkten, sondern auch beim Plattenhändler eures Vertrauens.
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