REPORTAGEN
Einer von uns
Jens Friebe

Er fällt nicht weiter auf. Nur ein weiterer In-den-Zwanzigern-Junge, der mit zwei Bekannten redet und im Dämmerlicht des kleinen Saales kaum auszumachen ist. Es herrscht tiefes Rotlicht vor, wie in einem alten Bordell, schwere rote Vorhänge und Spiegel, Sofas in den Ecken und auf der Bühne könnten sich jetzt auch Schlangenfrauen zwischen dem Schlagzeug, dem Keyboard und den Mikrophonständern räkeln. Aber es ist dann doch nur die Volksbühne Berlin, und das bedeutet Kultur. Der unauffällige Junge mit dem strähnigen Haar, das sich halb über sein Gesicht legt, wie ein Vorhang, steht leicht vorgebeugt, er hat den typischen Haltungsschaden, einen leichten Geierkopf. Sein Gesicht könnte Anspannung ausdrücken oder Nervosität. Hose und Oberteil sehen aus wie im Second Hand Laden im Prenzlauer Berg gekauft. Im Grossen und Ganzen könnte er sein eigenes Publikum sein.

Es liegt eine laue Nacht über den Rosa-Luxemburg-Platz, nach einem ersten warmen Frühlingstag in Berlin, strahlend und mit warmer Luft zum Durchatmen, es war nichts zu sehen, vom typischen Berliner Stahlkuppenhimmel. So füllt sich der Rote Salon langsam mit entspannt blickenden jungen Gesichtern, die aus Parks und Sommergärten kommen.

Als er eine halbe Stunde später auf der Bühne steht, macht er noch immer den gleichen, unauffälligen Eindruck. Weiterhin leicht vorgebeugt, heimlich wie ein Techniker, der noch einmal schnell die Verkabelung kontrolliert. Jeder könnte jetzt da oben sein. Doch dann spricht er drei kurze Worte zur Begrüssung, dreht sich zu seinem Drumcomputer um und wirft ihn an. Es beginnt lustig zu piepsen, es mischt sich ein Beat dazu und ein paar Hände aus der Retorte klatschen dazu. Der Junge dreht sich wieder vor das Mikrofon, und plötzlich ist er da; mit einer abgeklärten, aber leichten Stimme, die nicht wirklich singt, und doch macht der Text aus dem unauffälligen Jungen einen jungen Musiker namens Jens Friebe.
Dies ist sein Record Release Konzert.

Friebe live

Weder Haltung noch Ausdruck ändern sich sonderlich dabei, sein Lächeln ist nur eine Andeutung, noch immer ein schüchterner, ruhiger Schwiegersohn, verspielt und still, mit einer Bühnenpräsenz, die durch Zurückgezogenheit glänzt. Nur durch seine Texte kommuniziert er mit dem Publikum. Keine Show, oder Zoten, oder grosse Gags, oder ein Ego, das da oben zwanghaft auf Bestätigung wartet. Beim nächsten Lied gesellen sich noch zwei Musiker zu ihm. Dann spielen sie zusammen die klaren, kleinen Lieder von seinem ersten Album "Vorher Nachher Bilder".

Zwei Teenagermädchen springen währenddessen herum, wenn sie nicht gerade knutschen, dazu Jubel und Beifall von der linken Seite, hier und da singt man mit. Der Rote Salon ist fast gefüllt und die Gäste amüsieren sich, klatschen, wippen mit den Füssen und nicken mit den Köpfen. Später wird er sagen, dass er mehr als die Hälfte der Gäste nicht kannte. Die Veröffentlichung seiner CD liegt erst zwei Wochen zurück, doch er hat bereits Fans.

Friebes Elefant

Eine Woche danach, an einem typischen Berliner Stahlkuppelhimmeltag mit mürrischem Regen, in Jens Friebes Ein-Raum-Wohnung im Prenzlauer Berg, nicht weit von Thälmann Park: er führt mich durch einen langen Schlauch von Flur, an weissen Wänden und einem Bücherregal vorbei in die Küche. Ein Tisch mit Stühlen, viel Abwasch, ein Regal, leere Wände, die Küche ist nur mit dem Nötigsten bestückt.
"Du wohnst noch nicht lange hier, oder?"
"Seit zwei Jahren."
Wir blinzeln müde, also spült Jens Tassen ab und brüht uns erst mal einen Pfefferminztee auf.

Friebes Stuhl Sein Zimmer liegt direkt neben der Küche. Ein dunkler Raum mit zwei Fenstern zum Hinterhof. Auf dem Bett liegen seine Gitarre und ein grosser, giftgrüner Teletubbie mit dem Gesicht des Grünen-Politikers Rezzo Schlauch, der sich im Schwäbischen gerne auf Rock-Konzerten sehen liess. Das schönste und persönlichste weit und breit ist ein altes Erbstück von Schreibtisch, aus würdig dunklen Holz. Darauf ein Laptop, gegenüber ein monolithischer Kleiderschrank, dazu Fernseher, Videorecorder, Anlage und ein CD Ständer. Vielleicht liegt es am Wetter, aber es ist dunkel hier drinnen, bis zur Tristesse und Lieblosigkeit, wie in einer Wohnung, in der in erster Linie gewohnt wird, nicht gelebt. Es gibt wohl Wichtigeres.

Wir haben bisher kaum Augenkontakt gehabt, wir sind bemüht aber einsilbig und unsicher. Entweder ist er verschlossen oder schüchtern. Vielleicht denkt er auch dasselbe von seinem Gegenüber. Diese Distanz zwischen Interviewer und Interviewtem ist manchmal unüberbrückbar, obwohl sich beide Seiten redlich bemühen. Aber Jens Friebe kennt das. Er schreibt seit ein paar Jahren für das Musikmagazin INTRO, mit anti-intellektuellem Ansatz, wie er betont. Er kennt diese Probleme also von beiden Seiten. Sein erstes Interview hat er mit DeeJay Punk-Roc geführt. "Er war unglaublich cool, ich war unglaublich uncool." Punk-Roc hat ihn mit Ironie in Schweissausbrüche getrieben. Wir nehmen einen Schluck Tee. Dabei fallen mir meine feuchten Hände auf.

Friebe Jens Friebe wurde 1975 in Lüdenscheit geboren und dort wuchs er auch auf. Immerhin gab es "einen guten Jugendclub mit gar nicht so schlechter Disco", der mittlerweile natürlich auch nicht mehr existiert. Zusammengestrichen. Damals besuchten noch Die Goldenen Zitronen oder Die Ärzte Lüdenscheit, es war also nur halb so provinziell wie es klingt. Er hat dort acht Jahre lang in einer Band Musik gemacht, sehr viel experimenteller als heute. Die Band hiess Parka, und die Demobänder sollen nicht sehr toll gewesen sein. "Es wurde nie eine richtig grosse Sache, obwohl wir es lange gemacht haben. Wir haben uns wahrscheinlich blöd angestellt. Für mich ging es erst richtig los, als ich nach Berlin gezogen bin." Er redet über alles mit Distanz, als ob es nicht wirklich mit ihm zu tun hätte, als ob es nicht um ihn ginge. Das ist kein Schutzwall, vielleicht aber trotzdem Absicht. Jens Friebe befindet sich eher in einem Labyrinth, die Texte könnten der rote Faden sein, der einen ins Zentrum bringt, aber es liegen viele Fäden rum.
"Wovon lebst du?"
"Ich habe einen reichen Onkel in Amerika." So etwas zum Beispiel.
Wir trinken wieder von unserem Pfefferminztee.


Friebes Schweinderl "Ich habe etwas uneffektiv studiert. Aber immerhin bis zur Zwischenprüfung. Ich bin gern in die Uni gegangen. Ich bin auch noch hier eingeschrieben." Wie hätte es anders sein sollen? Eigentlich ist Jens Friebe nur einer der orientierungslosen, ewigen Studenten, die mit grossen Schritten auf die Dreissig zugehen und immer noch keinen Grund sehen sich mit dem Arbeitsmarkt zu beschäftigen. Ein Leben lang keinen materiellen Druck, keine existenziellen Sorgen gehabt, keine Wünsche, die sich um neue Autos oder Einfamilienhäuser drehen oder etwas mit grossen Karriereplänen zu tun hatten. Dafür möchte er lieber Künstler sein. Wo sonst hätte er also hinziehen sollen als nach Berlin? Er ist einer von denen, die zu Hunderten in dieser Stadt herumrennen, bis Mittags schlafen und dann in Cafés sitzen, wo sie ihren Begleitern zeigen, dass dort hinten manchmal Daniel Brühl frühstückt, denn manche schaffen es auch mit dieser Einstellung, richtig Erfolg zu haben. Einer von den hunderten Kleinkünstlern, Dichtern oder Schauspielern, die sich nur wünschen, weiter ihr Ding machen zu dürfen. Was soll man ihn fragen, was man nicht längst über ihn weiss?
"Die neue Big Brother Staffel ist auch nicht mehr so gut wie die erste", sagt er.
"Tja", sage ich.

Wir hören die Promo-CD des neuen Albums von Die Sterne an, das er vor kurzem in der Post hatte, aber in dieser Situation ist es nur Lärm mit deutschen Worten. "Klingt ganz gut."
"Noch einen Tee?", fragt er.
"Ähem. Danke, nein."


Friebes Love Kurz nachdem er vor zwei Jahren nach Berlin gezogen ist, hatte er seinen ersten Soloauftritt in Hamburg. Ein paar Tage später ruft ihn Alfred Hilsberg an, Labelchef von What's so funny about, Zick Zack, und bekannt als Förderer der Einstürzenden Neubauten und Blumfeld. Jemand von seinem Label hatte Jens Friebe dort gesehen und ihm von diesem Konzert berichtet. Und plötzlich hat Jens Friebe einen Plattenvertrag und damit auch einen Abgabetermin. Ein halbes Jahr hat er Zeit, und das ist knapp für ihn, denn er schreibt sich nicht auf was er textet. Dafür fängt er gleichzeitig mit verschiedenen Liedern an, die dann auch irgendwann fast gleichzeitig fertig werden, aber es braucht eben etwas Zeit. Geschafft hat er es trotzdem.

Wovon er nun wirklich lebt? Vom Geld dieses Onkels aus Amerika? Ja, genau. Dann gibt er zu, dass es natürlich nur seine Eltern sind, die ihn unterstützen. Was auch sonst, denn ohne solche Eltern oder das Sozialamt oder kleine Catering- und Callcenter-Jobs geht heutzutage nichts als Künstler in dieser Stadt. Selbst mit Plattenvertrag.

Er nippt an einer neuen, frisch aufgebrühten Tasse Tee, legt CDs ein. Ich nicke. Er spielt wieder etwas vor. Wir lauschen, aber schaffen es auch nicht, mit Hilfe der Musik zu kommunizieren. Da sind keine Fragen mehr. Ich kenne ihn zu gut und will nur raus, die Normalität kann einen Menschen erschlagen, und vielleicht war das hier ja kein Interview, sondern eine Konfrontationstherapie.
Aber er hat bestimmt Verständnis, er kennt das.
Draussen scheint es als on die Stahlkuppel zerbirst, und in jeder Splitter, für einen Augenblick: Jens Friebe.

Jens Friebe


Text: cklkh Fischer

Bilder: Sandra Heckeroth

Bildbearbeitung und Collage: Christian Biadacz

Mehr zu Jens Friebe unter www.jens-friebe.de

Vorher Nachher Bilder Die CD "Vorher Nachher Bilder" (ZickZack) gibt es nicht nur im Internet oder in den einschlägigen Medienmärkten, sondern auch beim Plattenhändler eures Vertrauens.

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