REPORTAGEN
Der berechnete Affekt
DJMDG

"Schreib als ersten Satz: vor dem Erfolg hat der liebe Gott den Schweiss gesetzt" Punkt. Ich bin noch kaum richtig im Roten Salon der Volksbühne angekommen, als ich meine erste Direktive vom Jungen mit der Gitarre erhalte, die dieser gerade nicht in Händen hält. Schliesslich ist Tobias Schacht, wie es sein Personalausweis will, gerade mit dem Aufbauen seines Equipments beschäftigt. Marco Möller, sein Schlagzeuger, und Stefan Nietzky am Bass tun es ihm gleich. Tobias schaut nur aus dem Augenwinkel dann und wann zu mir herüber. Gerade wird eine Lichterkette in Position gebracht. Trotzdem halten sich die Jungs mit Requisiten zurück. Es geht hier eben nicht um den Jungen mit dem Firlefanz. Als ich mich so umsehe, bin ich mir eigentlich nicht sicher, wer hier wen beobachtet. Die Blicke fliegen hin und her. Deckung und Vorstoss. Später im Gespräch will er genau wissen, für wen ich schreibe und vor allem, was ich schreiben werde. Und: er bittet mich, einige Dinge nicht in der Reportage unterzubringen. Soviel zu einer entspannten Atmosphäre.

Der Junge mit der Gitarre feierte mit seinem ersten Album und der Single "Meer sehn" einen grossen Erfolg, der in der Teilnahme am Grand Prix Auch Plattenfirmenpolitik ist so eine Sache. Tobias hat gerade innerhalb des edel-Konzerns sein Label gewechselt und er meint, er sei glücklich mit der jetzigen Situation. Es gäbe zwar keine Single zum Album, aber dafür habe das Label versprochen, auch länger am Album dran zu bleiben, damit dies ein Erfolg wird. Während Tobias davon spricht, wird sein Blick starr und stur. Wo ein Wille ist, muss einfach auch ein Weg sein. In Zeiten, da die Plattenfirmen die große Krise ausrufen und teilweise sechzig Prozent ihrer Künstler entlassen, vor allem die nationalen, ist dieser Weg sehr steinig. Wenn der bloße Wille nicht reicht, kann Tobias zwar auf seine Jazzausbildung zurückgreifen, daran will er aber im Moment nicht denken, allein das wäre schon eine Teilniederlage. Eine Niederlage hat er im letzten Jahr beim Vorentscheid zum Grand Prix d'Eurovision de la Chanson einstecken müssen, als er auf dem vorletzten Platz landete. Heute sagt er über diese Zeit: "Ich habe den Feind gesehen". Mit diesem Erlebnis konnte er lange nicht abschließen, schrieb den Song "Nie wieder Grand Prix", der zu gleichen Teilen wirkt wie ein Ausruf an die Fans und eine Mahnung an sich selbst, sich nie wieder auf das Spiel der Boulevard-Medien einzulassen. Bevor ich einhaken kann, bringt er den Begriff Naivität an dieser Stelle von sich aus ins Gespräch. Im Gespräch wie auf der Bühne sieht er die Reaktion des Gegenübers voraus und greift ihr vor.

Pose Ein paar Stunden später steht er selbst wieder einmal vor und über seinen Fans. Seine Gesten sind gross. Wenn er sich den Schweiss abwischt, setzt er den Ellenbogen an der Stirn an und zieht den Unterarm mit ganzer Kraft herüber. Auch sonst ist er mit vollem Körpereinsatz dabei, headbangt und wälzt sich auf dem Boden. Um garantiert nicht falsch verstanden zu werden, erklärt er dem Publikum vor jedem Song, worum es in den folgenden dreieinhalb Minuten gehen wird. Und das, obwohl die Songs immer auf den Punkt kommen, der im Refrain beim Namen genannt wird. Schon im ersten Lied des Abends, "2 Akkorde", reagiert Schacht auf die Kritik der hiesigen Musikpresse an ihm und seiner Musik: "Wenn man so von der Musikpresse verrissen wird, wird einem jegliche Existenzberechtigung entzogen. Und wenn man sich im Gegenzug bewusst macht, dass achtzig Prozent der Bands, die da so stattfinden, nicht in der Lage wären, so ein Album einzuspielen, ist das mangelnder Respekt an dem, was man kann. Oft scheint mir die Indiepresse nach dem Motto zu funktionieren: Wir erheben das Unvermögen zum Prinzip. Der, der sich am meisten limitiert, ist der coolste Typ und das führt dann zu solchen Sachen, dass gesagt wird 'Der Dirk von Lotzow von Tocotronic kann ja eigentlich Gitarre spielen, aber der will das ja gar nicht so, weil das seiner Aura nicht so entspricht'. Das ist natürlich totaler Schwachsinn... der kann überhaupt nicht Gitarre spielen!" Die Sätze hängen in der Luft und wollen einfach nicht verschwinden. Da fügt Tobias lieber noch hinzu, dass er nicht beleidigt sein will, aber dass das einfach mal gesagt werden müsse. Über seinen eigenen Musikgeschmack sagt er "Für mich gibt's einfach nur gut, engagiert, nonkonformistisch, konformistisch oder solche Kategorien. Ich mag in erster Linie nonkonformistische Musik, in allen Bereichen." Müsste man Tobias' eigener Musik einen Namen geben, träfe es Popmusik ganz gut.

Den jugendlichen Fans gefallen seine Lieder an jenem Abend auf jeden Fall. Nach jedem Song regnet es heftigen Applaus. Zwischen den Künstler und dem Publikum passt sowohl von der reinen Entfernung als auch vom Kleidungsstil her, quasi kein Blatt. Tobias Schacht ist auf der Bühne noch genau der gleiche legér angezogene Typ mit dem wachen Blick wie nachmittags. Wieder erklärt er ein Lied, "Die Waffe": "Ich bin in diesem Song George Bush. Und ich habe mir überlegt, wenn George Bush einen Punkrock-Song machen würde, dann würde er wahrscheinlich so klingen". Der Junge mit der Gitarre ist ein politischer Künstler, der gerade heraus sagt, was er denkt, doch getreu dem Titel einer seiner früheren Singles "Hallo, worum geht's, ich bin dagegen" wird eher deutlich, was ihm missfällt als wofür er eintritt: "Ich sag immer 'Ich wünsche mir eigentlich eine Welt voller Wölfe und treffe doch jeden Tag auf eine Welt voller Schafe'. Es ist eine unglaublich destruktive Energie in der Politik, die ganze Polemik und der Populismus, die Verlogenheit. Und eine Aufbruchstimmung, die in vielen Bereichen der Gesellschaft gebraucht würde, entsteht nicht dadurch, dass man erst mal den Gegner klein haut. Es gibt immer zwei Möglichkeiten, um zu wachsen: Entweder, du haust auf den neben dir ein, dass der kleiner ist, dann bist du auch gewachsen. Oder Du wächst aus dir selbst. Und in der Politik ist das immer so: Weil wir selber keine guten Ideen haben, müssen wir klar machen, dass die Ideen der anderen noch schlechter sind. Das schreckt, glaube ich, viele Leute von der Politik ab."

DJMDG

Auch Plattenfirmenpolitik ist so eine Sache. Tobias hat gerade innerhalb des edel-Konzerns sein Label gewechselt und er meint, er sei glücklich mit der jetzigen Situation. Es gäbe zwar keine Single zum Album, aber dafür habe das Label versprochen, auch länger am Album dran zu bleiben, damit dies ein Erfolg wird. Während Tobias davon spricht, wird sein Blick starr und stur. Wo ein Wille ist, muss einfach auch ein Weg sein. In Zeiten, da die Plattenfirmen die große Krise ausrufen und teilweise sechzig Prozent ihrer Künstler entlassen, vor allem die nationalen, ist dieser Weg sehr steinig. Wenn der bloße Wille nicht reicht, kann Tobias zwar auf seine Jazzausbildung zurückgreifen, daran will er aber im Moment nicht denken, allein das wäre schon eine Teilniederlage. Eine Niederlage hat er im letzten Jahr beim Vorentscheid zum Grand Prix d'Eurovision de la Chanson einstecken müssen, als er auf dem vorletzten Platz landete. Heute sagt er über diese Zeit: "Ich habe den Feind gesehen". Mit diesem Erlebnis konnte er lange nicht abschließen, schrieb den Song "Nie wieder Grand Prix", der zu gleichen Teilen wirkt wie ein Ausruf an die Fans und eine Mahnung an sich selbst, sich nie wieder auf das Spiel der Boulevard-Medien einzulassen. Bevor ich einhaken kann, bringt er den Begriff Naivität an dieser Stelle von sich aus ins Gespräch. Im Gespräch wie auf der Bühne sieht er die Reaktion des Gegenübers voraus und greift ihr vor.

Während des Konzertes ist Tobias immer auf seine Wirkung bedacht. Er biegt den Rücken beim Gitarrensolo möglichst weit nach hinten, das Instrument in die Luft gereckt und dabei immer ins Publikum schielend wie dieses reagiert. Dieses hängt begeistert an seinen Lippen. Sie nennen ihn nicht den Jungen mit der Gitarre, sondern einfach Tobi. Wie einen Typ, mit dem man gerne mal ein Bier trinken gehen möchte. Es könnte so einfach sein...

Tobias Schacht als Der Junge mit der Gitarre


Text: Johannes Mihram

Bilder: Robert Klebenow

Mehr zu Der Junge mit der Gitarre unter www.djmdg.de

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Wenige Tage nach Fertigstellung dieser Reportage erreichte uns dann, am 20. August 2004, diese Mitteilung von Tobias Schacht, in der er sich von seinem Alter Ego trennt. Wir waren uns nicht sicher, ob man das mit der Reportage verweben soll, entschieden uns aber für einen vollständigen Abdruck des Statements am Ende dieser Reportage.

Betreff: Der Junge verabschiedet sich

Sehr geehrte Partner, Journalisten, liebe Fans und Freunde,

DJMDG hiermit möchte ich bekannt geben, dass ich meinen Weg als Junge mit der Gitarre beenden werde. Ich habe mich dieser Rolle 7 Jahre verpflichtet gefühlt und alles versucht, diese meine Sache voran zu treiben. Es ist mir mal mehr, mal weniger gelungen. Unterm Strich bin ich sehr stolz auf das, was ich erreicht und geleistet habe. Ich habe um die 50 Songs komponiert, 2 Alben und 3 Singles veröffentlicht, ca. 300 Konzerte gespielt und auf diesem Weg nicht wenigen Leuten grosse Freude bereitet. Ich durfte viele grosse Musiker und Persönlichkeiten kennen lernen und habe aus diesen Reihen auch viel Anerkennung erhalten.

Es waren 7 spannende und sehr lehrreiche Jahre.

Gleichzeitig wurde wohl kein deutscher Künstler der letzten Zeit so aggressiv angefeindet wie DJMDG. Dies vor allem von den Medien, die ich (so absurd es auch klingt) für ihr Engagement für andersartige Musik schätze. Diese konsequente Ablehnung führte soweit, dass man mir jegliche musikalische Existenzberechtigung abgesprochen und meine Fans damit quasi zu Idioten erklärt hat, was sie sicher nicht sind. Noch heute werde ich auf meiner Internetseite regelmässig anonym übel beleidigt und teilweise droht man mir sogar mit körperlicher Gewalt, falls ich meine "schwule und beschissene" Musik weiter fortsetze. Dementsprechend mache ich mir keine Illusionen: In einigen Büros und Redaktionen werden jetzt die Korken knallen.

DJMDG Sicher habe ich im Umgang mit den Medien auch vieles falsch gemacht. Ich konnte mich noch nie gut verkaufen und lehne bis heute viele Umgangsformen und Mechanismen der Musikindustrie und der Medienlandschaft im Allgemeinen schlicht ab, da ich sie nicht nur für fragwürdig und anmassend sondern objektiv für menschenverachtend halte. Konsequenterweise muss ich einsehen, dass es für mich hier keinen Platz gibt, zumindest keinen an dem ich glücklich oder verstanden werden könnte.

Sicher ist aber auch, dass DJMDG von vielen Veranstaltern, seriösen Journalisten und Musikkennern als einzigartige Bereicherung der deutschen Musikkultur angesehen wurde. Ich weiss nicht mehr, wie viele Menschen auf meiner letzten Tour zu mir kamen und mich zum Weitermachen und Durchhalten ermutigen wollten. Es war so häufig, dass ich es fast nicht mehr hören konnte. Diesen Leuten gilt mein grosser Dank, zumal ich viele neue Freunde gefunden habe, die mich hoffentlich auch in Zukunft begleiten werden. Euch allen möchte ich sagen, dass ich einfach nicht mehr kann. Ich hoffe ihr habt ein wenig Verständnis dafür.

Grosse Anerkennung und kompromisslose Ablehnung begegneten mir von Anfang an, dazwischen gab es fast nichts. Ich selbst fand das immer schade, habe aber auch meinen Teil dazu beigetragen. Unterm Strich ist die Situation festgefahren und insoweit perspektivlos, als dass ich keine Chance mehr sehe, meine Musik zu machen, ohne zwangsläufig missverstanden oder diffamiert zu werden. Das möchte ich für mich als Mensch einfach nicht. Dafür habe ich meine Musik nicht gemacht und ich denke, dass niemand, der sich für eine Sache derart leidenschaftlich einsetzt, wie ich es als DJMDG getan habe, so etwas verdient hat oder sich einem solchen Verhalten notwendigerweise aussetzen muss. Dass ich auch selbst zu manchen Leuten beleidigend war und kein Kind von Traurigkeit bin, streite ich nicht ab, weshalb Niemandem ein Vorwurf zu machen ist. Wirklich verstanden habe ich mich jedoch zu keiner Zeit gefühlt.

Trotz meiner Kapitulation vor der Situation möchte ich mich nicht einfach aus dem Staub machen, weshalb ich noch bis Ende Januar 2005 zu buchen bin. Danach ist endgültig Schluss. Ich möchte keine Abschiedstournee oder ähnlich theatralischen Scheiss, jedoch bin ich mir sicher, dass es nicht Wenige gibt, die ein letztes Mal mit mir die Songs feiern möchten. Dies ist somit zumindest möglich.

Ich danke allen, die mich unterstützt haben. Viele werden mich fragen, was ich nun tun will. Ich weiss es nicht. Ich würde gerne mein Wissen weitergeben, vielleicht andere Bands produzieren, mein erstes Buch zu Ende schreiben, selber journalistisch arbeiten oder wieder studieren. Ob ich mich noch einmal in diesem Masse der öffentlichen Beurteilung aussetzen werde, wage ich zu bezweifeln. Vielleicht werde ich dieses Land auch für eine Weile verlassen. Es ist wieder alles offen ? und dieser Gedanke tut verdammt gut.

Don`t look back in anger

Tobias Schacht


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