REPORTAGEN
Genug für den Moment
Kai-Uwe Kolkhorst

Freitagabends mit der U-Bahn in Berlin unterwegs sein, bedeutet, vielen gestylten Menschen in sehnsuchtsvolle Augen zu blicken. Nach fünf Tagen im Büro, der Schule, der Uni, im Alltag soll sie der heutige Abend für alles entschädigen, ihnen Euphorie, Glanz und Glück bieten. Doch statt mit ihnen in die Glitzerpaläste der Kinos und Discotheken zu fliehen, trete ich in die Garage Pankow, einen heruntergekommenen Backsteinbau im Nordosten Berlins, und fühle mich sofort wieder wie mit 15 Jahren im Jugendzentrum: eine kleine Bar, hinter der mindestens so viele Cola- wie Bierflaschen verstaut sind, bunt gestrichene, bröckelnde Wände und Zimmerpflanzen, die eher vegetieren als blühen. Doch auch hier begegnet mir sogleich die Sehnsucht - nach dem perfekten Sound. Besser nennt sich diese Band aus Lüneberg, deren Bassist Ingo Rottmann und Drummer Lars Plogschties schnell ihren Sound für den heutigen Abend gefunden haben. Doch Frontmann Kai-Uwe Kolkhorst kämpft, feilscht mit dem Mischer um jeden Dezibel für seine Gitarre. Denn auch wenn das nur ein kleiner Club ist, soll das Publikum später vom Sound umschlossen und für einen Moment aus der Tristesse entführt werden.

Tristesse wird vor allem im Backstageraum sichtbar, der die Größe einer Besenkammer besitzt und deren einzige Attraktivität das kalte Büffet mit belegten Brötchen und Chips darstellt. Ich frage mich: Warum tun sich Menschen das an? Warum nehmen sie es auf sich, von einem kleinen, heruntergekommenen Club zum nächsten zu fahren, vor einer handvoll Leuten zu spielen und wahrscheinlich dabei noch draufzuzahlen? "Auf den Bandnamen", erzählt Kai, "kamen wir beim Konzert der Band Gomez. Wir waren zu dritt da und irgendwann sagte einer von uns 'wir sind besser'". Ist das vielleicht schon die Antwort? Nehmen die drei Männer um die 30 all die Strapazen auf sich, um sich und allen anderen zu beweisen, dass sie besser sind als manch etablierter Act? Während ich mich mit Kai unterhalte, streifen Lars und seine Freundin durch den Club, Ingo sitzt alleine abseits. Kai und Lars sehen aus wie Mitte 20, während Ingo den Eindruck macht, als habe er schon einiges erlebt. Die drei kennen sich schon lange: "Mit Ingo mache ich schon seit Ewigkeiten Musik" erzählt Kai. Früher hat er als Straßenmusikant Lüneburg unsicher gemacht und eines Tages auch vor dem Plattenladen gespielt, in dem Lars heute noch arbeitet. Mit der Straßenmusik ist es vorbei, als mitten in der Zuschauermenge ein Mann onaniert. "Die anderen Zuschauer dachten, dass wir zusammengehören, dass das Teil der Vorstellung wäre. In solch eine Situation wollte ich nie mehr kommen."

Musik war schon immer Kais Leben. Bereits mit 12 spielte er in seiner ersten Band. "Wir haben Funkrock gemacht, doch die Zeit war noch nicht reif dafür, das änderte sich erst mit den Red Hot Chili Peppers." Nach der Schule lernt er Krankenpfleger, seit einiger Zeit aber verdient er seine Brötchen allein mit Musik. In Lüneburg gibt er Gitarrenunterricht und aus Lüneburg möchte er auch nicht wegziehen. "In Berlin würde ich untergehen." Kai geht offen mit seinem Suchtpotential um, im Gespräch, auf der Bühne und in seinen Texten: "Ihr denkt, ich bin so'n Schnacker aus der Kleinstadt, der ausser euch Mackern noch nichts hartes gesehen hat. Ich war 15 von 30 Jahren voll drauf und ab jetzt halt' ich immer ganz fleissig die Augen auf. Wir sind hier, um zu überleben und nicht aufzugeben oder frühzeitig abzuleben und abzuheben. In diesem Spiel hast du nur das eine Leben, und das ist dir vom lieben Gott gegeben" ("Crack"). Heute ist er trockener Alkoholiker und auch von den härteren Drogen, die er früher genommen hat, ist er weg. Nur einen Joint genehmigt er sich bei unserem Gespräch. In einer großen Stadt wie Berlin hätte er Angst, rückfällig zu werden. In Lüneburg kennt man sich und passt gegenseitig etwas aufeinander auf, die soziale Kontrolle ist größer. Einen Halt zu haben, ist wichtig, wenn man im inneren und auch beruflich auf Klippen balanciert.

Kai-Uwe Kolkhorst Halt gibt ihm aber auch die Musik. Hier kann er sich ausdrücken. "Die Texte, das bin ich. Bei Bands wie Tomte oder Wir Sind Helden habe ich immer das Gefühl, das ist aufgestülpt, eine Attitüde." Auf Wir Sind Helden ist Kai generell nicht gut zu sprechen, denn "Stefan, ein guter Freund von mir, war in den Anfangstagen Bassist bei Wir Sind Helden. Judith und er waren ein Paar und haben die Band zusammen gegründet. Als die Beziehung zerbrach und Judith mit dem Drummer zusammenkam, warf sie Stefan aus der Band". Kai weiß auf jeden Fall, was momentan an deutschsprachiger Musik angesagt ist, auch wenn er selber kaum etwas davon hört. Ingo kommt hinzu: "Ich will einfach mal ein bischen lauschen. Ich könnte dieses Interview gar nicht mit dir führen, ich weiß gar nicht, wovon ihr redet. Ich höre fast nie Musik, sondern sitze lieber im Garten." Ingo steht abseits von den beiden anderen, den größten Teil des Abends über, beim Konzert, und wohl auch sonst. Er ist auch nicht am Soloalbum von Kai beteiligt, dass Kai und Lars momentan produzieren und das im Sommer erscheinen soll. "Wir produzieren alles allein mit dem Laptop. Ich habe so viele Songs, dass die einfach rausmüssen. Und da ein neues Album von Besser erst nächstes Jahr wieder an der Reihe ist, gibt es jetzt das Soloalbum." Doch die Band ist ihm wichtig: "Wir sind Freunde. Und da wir alle Freundinnen haben, streiten wir auch nie um Frauen, nur um Feuerzeuge." Allgemeines Lachen bricht aus.

Besser Einige Minuten später, als ich mit Kai im Vorraum sitze, ist die Stimmung wieder gedämpfter. Die Vorband spielt nun schon eine halbe Stunde lang und es sind nur 15 bis 20 Zuschauer anwesend, die Hälfte davon ist über die Gästeliste der Vorband gratis ins Konzert gekommen. "Ich muss aufpassen, dass ich mich davon jetzt nicht runterziehen lasse. Auch wenn ich es eigentlich so überschaubar und gemütlich mag. Ich fühle mich unwohl, wenn der ganze Raum gefüllt ist und alle mich auf der Bühne anstarren und selber oft keine Regung zeigen." In den Worten schwingt auch die Angst mit, genau wie in seinem Leben, die Kontrolle zu verlieren, nicht zu wissen, was als nächstes passiert. Darum scheint er auch insgeheim froh zu sein, dass Besser im Gegensatz zu den oben genannten Bands keinen Hype erfahren haben: "Wir machen das einfach nur für uns, egal ob das vielleicht auch nur uns gefällt. Bei den anderen habe ich immer das Gefühl, die basteln so lange an den Texten, bis sie jeder verstehen kann. Das kann und will ich nicht."

Besser live Dann geht's endlich auf die Bühne, nachdem die Vorband fast ein Stunde lang gespielt hat. Eine Setlist haben Besser nie, nach jedem Song besprechen sie sich kurz, was sie als nächstes spielen wollen. Während Kai beim Soundcheck noch meinte, ausnahmsweise etwas Abstand zum Mikro halten zu wollen, da es sonst der Sound im Club nicht so gut ist, passt nun meistens doch kein Blatt Papier zwischen Mikro und Mund. Da will jemand etwas mitteilen und nichts davon soll verloren gehen. Und dann ist es auch egal, dass es nur 20 statt 100 Leute hören. Lars verzieht bei jedem Schlag das Gesicht zu einer Grimasse, obwohl die Songs eher ruhiger sind und gar nicht soviel Anstrengung erfordern. Die wird eher benötigt, um die Leute im Publikum, die nur wegen der Vorband erschienen sind und sich nun laut unterhalten, zur Aufmerksamkeit zu bewegen. Hier kann sich auch Kai eine launige Bemerkung nicht verkneifen. Stimmung will hier nicht aufkommen. Zu gemütlich sitzt das Publikum in den Sesseln und auf dem Bänken am Rand, als dass es sich zu mehr als einem freundlichen Applaus nach den einzelnen Songs hinreißen lassen würde. Als Kai fragt "Welchen Song sollen wir als nächstes spielen?" kommt keine Reaktion. Etwas hilflos fragt er "Kennt ihr überhaupt unsere Songs?". Schließlich erbarmt sich ein Zuschauer und ruft "Marie", schon stürzt sich die Band in das Lied, froh, dieses unangenehme Intermezzo beenden zu können. Als die Band von der Bühne geht kommt nur spärlicher Applaus für Zugaben und auch das laute Gerede im Publikum will zu keinem Zeitpunkt des Konzerts verstummen. Nach zwei weiteren Songs verschwindet die Band wieder backstage und diesmal klatscht kein Zuschauer mehr für weitere Zugaben.

Freitagabend in Berlin. Viele Menschen sind getrieben von Sehnsucht auf einen rauschhaften Moment, der sie die triste Woche vergessen lässt, der ihr und ihnen Sinn gibt. Die wenigsten davon haben ihn an diesem Abend beim Konzert von Besser gesucht, zu viele Glücksversprechen blinken und glitzern in der Großstadt. Doch für Kai, Lars und vielleicht auch Ingo ist dieses Konzert, diese Band, die Musik der Sinn und auch der Halt im Leben. Während sie sich auf die Suche nach ihrer Pension für diese Nacht machen , sehe ich auf dem Heimweg in die gleichen sehnsuchtsvollen Augen wie auf dem Heimweg. Doch nun sind sie auch gezeichnet von Müdigkeit und schaler Enttäuschung. Der Moment des Glücks und der Euphorie ist so schnell verflogen, wie er gekommen ist und nur der Brummschädel am nächsten Tag bleibt übrig. Doch genauso, wie sie am nächsten Wochenende den Glücksversprechen der Vergnügungstempel erneut Vertrauen schenken werden, werden Besser weiter Konzerte geben, mal vor mehr, mal vor weniger Publikum. Aber sie haben sich und die Musik und das ist Halt und Glück genug für den Moment.

Besser 2004


Text: Johannes Mihram

Bilder: Martin Dockenfuss

Mehr zu Besser unter www.tapeterecords.de/besser

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