REPORTAGEN
Komm verlieb Dich noch einmal auf's Neue
Münchener Freiheit [ August 2003 ]
Münchener Freiheit

Montagnachmittag. Die Sonne scheint. Kurz vor 16 Uhr rollen Stefan Zauner, Sänger, und Aron Strobel, Gitarrist der Münchener Freiheit, lässig in Jeans, Hemd und Lederjacke, die Rolltreppe einer Münchener Einkaufspassage nach oben. Überall hängen Plakate mit ihrem Konterfei. Ein klassisches Motiv: die Gesichter der Band liegen halb im Dunkeln. Das ist der Stil der Doors. Die Münchener Freiheit auf der Suche nach ihrer dunklen Seite? Das würde nicht passen. Zauner schaut sich über den Rand seiner Sonnenbrille um und steuert auf ein Café zu. Dort hat es sich Bassist Michael Kunzi, der früher ein wenig an Limahl erinnerte, an einem Bistrotisch gemütlich gemacht. Heute ist die Stachelfrisur einem lockeren Mittelscheitel gewichen. Kaffee wird serviert. Die Münchener Freiheit ist mittlerweile in ihrem 23. Jahr als Band und veröffentlicht jetzt ihre grössten Hits als Neuaufnahmen. Wohl gemerkt, keine Remixe. Die Zeitmaschine steuern sie schon selber. Zauner und Strobel setzen sich. Zigaretten auf den Tisch.

Der Eingang des Medienmarktes liegt in Sichtweite. Auf einem Podest steht ein Verkaufsstand mit den inzwischen 14 Alben der Münchener Freiheit. Und obwohl bereits ein paar weibliche Fans mit signierbereiten CDs warten, nimmt niemand richtig Notiz von den Jungs. Ohne Frage ist die Band routiniert. Nach über zwanzig Jahren mit allen Hochs und Tiefs im Musikbusiness macht so eine Autogrammstunde keinen von ihnen mehr nervös. Kurioserweise aber auch ihre Fans nicht. Kurz darauf kommt der Manager der Band, Jürgen Thürnau. Ein ganz gemütlicher, etwas rundlicher Mann, der eher an einen Knuddelteddy als an einen Manager einer einst international erfolgreichen Popband erinnert. Doch die neun Wochen, in denen "Keeping the dream alive" Ende 1988 bis auf Platz 14 der britischen Hitparade kletterte, sind schon ein paar Tage her. Die Champagnerflaschen von damals sind längst recycelt. Thürnau sagt, er sei noch ziemlich verkatert vom gestrigen Abend. Alle lachen. Die Band ist zufrieden mit ihrem Album. Offensichtlich ein Grund zum Feiern.

SignierstundeSeit mehr als zwei Jahrzehnten schafft es die Münchener Freiheit mit ihren gefühlvollen Texten und Melodien zu umschmeicheln, zu berühren und einzulullen. Die langsam anwachsende Ansammlung überwiegend weiblicher Fans, die zu der näher rückenden Autogrammstunde erscheinen, erweckt den Eindruck, dass auch sie gekommen sind, um dieses zarte Gefühl noch einmal zu erleben, als in den Achtzigern Liebeserklärungen und -beteuerungen irgendwie immer mit den Texten der Münchener zu tun hatten. "Tausend Mal Du" und "Ohne Dich schlaf ich heut Nacht nicht ein" sind seitdem fester Bestandteil eines Wortschatzes, den man nur mit einem Schmunzeln benutzt. Auch über das bittere Ende hat die Münchener Freiheit uns mit so klaren Worten wie "Es wird nie mehr wie früher sein" und "Es gibt kein nächstes Mal" hinweggeholfen. Die Gefühle, die sie mit ihren sanften Melodien ansprechen, sind zeitlos. Warum und für wen also die alten Hits in neuen Kleidern, auf dem neuen Album "Zeitmaschine"? Stefan Zauner hockt mehr auf seinem Stuhl als dass er sitzt. Dafür sitzt die Antwort, denn das ist natürlich der übliche Verdächtige unter den Fragen. "Für das junge Publikum, das uns als Achtziger Jahre Kultband sieht, aber eigentlich die Lieder von früher nicht gut kennt", sagt er. "Für diese Fans sind die Songs fast neu, aber in einem modernen Gewand." Er wirkt abgeklärt, fast schon schon ein bisschen gelangweilt. Er hat als einziger seine Lederjacke anbehalten. Ab und zu wirft er einen Blick rüber zum Podest, gerade als ob er überprüfen wollte, ob die Vorbereitungen nach Plan laufen. Er hat die Kontrolle. Daran lassen seine Haltung und seine Antworten keinen Zweifel.

SchlangeEin junges Mädchen im Pulk der wartenden Fans schiebt die "Zeitmaschine" in ihren Discman. Verträumter Blick. Die Hülle in den Händen. "Verlieb Dich noch einmal aufs Neue" scheint zu funktionieren. Die Idee für ein solches Album hatte die Band schon vor ungefähr drei Jahren, als sie eine neue Version von "Tausend Mal Du" aufgenommen haben. Allerdings sei das der Plattenfirma zu flippig gewesen. Ausserdem sah sie keinen Grund soetwas zu machen. Das Eighties-Revival ebnete dieser Idee jedoch den Weg. Für die Bandmitglieder selbst stand das Experiment im Vordergrund. Wie würden sie die Titel aufnehmen, wenn sie ihnen heute einfallen würden? Wie würden sie die inzwischen weiterentwickelte Technik nutzen? Dazu wäre es auch nötig gewesen, erst einmal einen gewissen Abstand zu den Songs zu bekommen. "Es mussten schon drastische Veränderungen sein, damit das Publikum es auch mitbekommt", meint Zauner. Die Veränderungen sind hörbar. Voll Mut widersetzen sie sich Chris Roberts alter Weisheit "Du kannst nicht immer 17 sein".

Die Münchener Freiheit hat die NDW und alle anderen Moden überlebt. Wohl wegen einem hohen Wiedererkennungswert ihrer Gesangspassagen, die auch ohne Zeitmaschine immer gleiches Markenzeichen bleiben. Ihre Stellung ist ambivalent. Kommerzieller Erfolg schafft Neider und Mädchenmusik zu machen, steigert auch nicht gerade die Credibility. Da überraschte es, als Blumfelds Jochen Distelmeyer die Zaunerband lobte: "Sie sind einfach eine Band, die auf interessante Weise verzweifelt versucht haben, Popmusik im Sinne von Beatles und Beach Boys zu machen. Im Rahmen ihrer Musik eben etwas visionär, anders als die meisten anderen hier." Blumfeld schockten 1999 die Independentszene mit dem Lied "Tausend Tränen tief", das ihren krachigen Gitarrensound plötzlich mit dem Klang einer schlagerhaften Ballade tauschte. Zauner und Co. ordnen ihre eigene Musik als simplen Pop ein. Solche Statements wie das des Blumfeld Sängers sehen sie als Kompliment eines Kollegen, der Musik nicht nur aus der Schublade beurteilt, sondern sich auch Gedanken darüber macht. Und mit der Musik von Blumfeld könnten die Münchener auch was anfangen. "Schade, dass Paul McCartney das nicht gesagt hat. Dann hätte es die anschliessende Diskussion um das (genreübergreifende d.Red.) Statement bestimmt nicht gegeben", hängt Strobel seinen Anspruch in luftige Höhen. Stolz erwähnen sie, dass Elton John ihre Musik mag und Platten von ihnen hat.


Noch Fragen?
Noch Fragen?

So langsam trudeln ein paar Fans mehr ein. Besonders auffällig gebärt sich ein Pärchen, das mit (vermutlich) allen LPs der Münchener Freiheit bewaffnet, sich schon in der ersten Reihe aufgestellt hat. Fast jeder der Ankömmlinge kauft eine der bereitgestellten CDs. Eine junge Frau mit Baby sagt zu ihrer Freundin: "Ich hoffe, dass die Platte einigermassen gut geworden ist. Die letzten waren ja nicht mehr ganz so toll." Die Kulisse ist hinreißend nüchtern. Ein Tisch, fünf Stühle, ein Mikro, in das später keiner sprechen wird. Hinten an der Wand die Plakate zum Album. Wärmt man so eine alte Liebe auf? Ungefähr fünfzig Besucher, überwiegend Fans der ersten Stunde, stellen sich brav in einer Reihe auf. Die Organisatorin läuft unzufrieden herum und ermuntert die Leute sich doch lieber dicht vor das Podium zu drängeln. Das gäbe eine "rockigere Atmosphäre". Das Publikum ist willig. Die Musik, natürlich von der neuen CD, ist auf volle Lautstärke gedreht und, sei es wie es sei, als ein Kind der Achtiger komme ich nicht umhin, wenigstens ein bisschen mit den Füssen zu wippen.

Stefan ZaunerDer Anspruch der Münchener Freiheit war und ist es, ihr Publikum zu entspannen, einen Ausgleich zum Alltag zu schaffen. Sie hatten selten die Ambition über Themen wie Arbeitslosigkeit oder Zukunftsängste zu singen oder gar politische Statements ins Spiel zu bringen. "So etwas lässt sich nicht wirklich in der Musik ausdrücken. Da würde die Aussage drunter leiden." Hmm, nur eine Ausrede? Andere deutsche und internationale Interpreten tun das schliesslich zum Teil sehr erfolgreich. Immerhin hat die Münchener Freiheit sich auch schon das eine oder andere Mal an ein Thema wie Nationalsozialismus herangewagt und versucht, dies als Single herauszubringen. "Das wurde aber nie ein Erfolg", statiert Aron Strobel. "So sehen uns die Fans halt nicht. In kritischen Positionen sieht man andere Leute." Er springt auf dieses Thema am ehesten an, sitzt mit ernstem Blick plötzlich ganz aufrecht und wirft seine blonde Mähne zurück. Fühlt er sich wohl in der Rolle, die das Publikum ihnen gibt? "...jooo" ist seine zögerliche Antwort.

Um 17 Uhr kommen die, jetzt vollständig angetretenen, Bandmitglieder entspannt und gut gelaunt auf das Podium. Das Pärchen fächert die mitgebrachten Platten auf. Die Jungs signieren alles nach den Wünschen der Besucher, machen nebenbei noch Witzchen und lächeln bereitwillig in die Kameras der Fans und anwesenden Fotografen. Trotz der rockigen Atmosphäre läuft alles sehr gesittet ab. Die Fans bleiben doch lieber in Reih und Glied. "Was plant ihr für die Zukunft?" lautet eine vom Albumtitel inspirierte Frage eines Fan. "The future is not ours to see" lacht Aron und Stefan fügt hinzu: "Es wird auf jeden Fall eine neue Platte entstehen. Ideen hierfür haben wir schon im Hinterkopf. Wir werden uns Ende des Jahres treffen, um uns auszutauschen." Ob es eine Abwechslung geben werde? Die Jungs betonen, dass sie nur versuchen, gute Songs zu schreiben, "zeitlose, wenn möglich."

Auf dem Podium

Nach etwa vierzig Minuten lösen sich die Grüppchen auf. Auf der Rolltreppe abwärts steht das Pärchen mit den signierten LPs im Arm. Eine ältere Frau fragt neugierig, ob sie wohl grosse Fans wären. "War mal" ist die knappe Antwort. Warum sie denn hier wären? "Wenn die Band schon mal hier in München ist, bekommt man halt endlich die Platten signiert. Ich sammle Autogramme. Das sieht besser aus als wenn nichts auf der Platte steht." Die Frau lässt sich von der nüchternen Antwort nicht entmutigen erkundigt sich nach der neuen Platte. Kopfschütteln. "Nee, wir haben alles Alte und das Neue interessiert uns nicht mehr." Wird wohl doch Zeit für neue Fans. Draussen regnet es jetzt. Die Töne aus dem Lautsprecher mischen sich mit dem Prasseln der Regentropfen: "...komm verlieb Dich noch einmal aufs Neue, es gibt kein nächstes Mal (...) wird es nie mehr wie früher sein". Tja, das Spiel mit dem Raum Zeit Kontinuum ist schwierig. Bis jetzt wurde noch jede Zeitmaschine am Ende der Geschichte zerstört.



Text: Claudia Borgwardt

Bilder der Signierstunde: Claudia Borgwardt

Bandfotos: Pressefreigaben

Mehr zur Münchener Freiheit:
www.crocodile-music.de/freiheit
www.muenchenerfreiheit-online.de (Fanseite)

Die aktuelle CD "Zeitmaschine" (Sony/Crocodile Music) gibt es nicht nur im Internet oder in den einschlägigen Medienmärkten, sondern auch beim Plattenhändler eures Vertrauens. Zumindest kann er sie bestellen.

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