REPORTAGEN
Die Farbe Schwarz
Astrid Kirchherr [ August 2003 ]

Ihr Rücken ist gerade, aber spannungslos, ihr Blick ernst. Ihre Haare trägt sie wieder kurz und burschikos, die Seiten deuten Koteletten an. Wie damals, Anfang der Sechziger. Nur das Blond ist inzwischen grau. Sie scheint sich nicht umzusehen oder die Leute vor sich zu beobachten. Eine Brille ist auf ihre Nase gerückt. Ihr Kleidungsstil ist schwarz, wie eh und je. An die 43 Jahre ist es nun her, dass sie, Astrid Kirchherr, von ihrem damaligen Freund Klaus Voormann in den Hamburger Kaiserkeller mitgenommen wurde, in der er eine völlig neuartige Band entdeckt hatte. Fünf blutjunge Liverpooler Jungs spielten sich dort als Vorband von Rory Storm and the Hurricanes die Seele aus dem Leib. Astrid gab sich dem Strudel dieser einzigartigen Energie hin, die The Beatles da auf der Bühne produzierten. Und kurz darauf war die kühle Existenzialistin (so nannten sich damals junge Kunstliebhaber) mit John, Paul, George, Pete und Stu befreundet, und schlug vor, Fotos von ihnen zu machen. Einige dieser Bilder wurden durch den späteren Erfolg der Beatles zum allgemeinen Kulturgut. Diese Bilder der jungen Beatles vor den Jahrmarktwagen, waren Heil und Fluch zugleich für die junge Fotografin. Zum einen wurde sie dadurch weltberühmt, zum anderen sollte es ihre Karriere ausserhalb der Beatlesmotive lähmen.

Heute sitzt sie vor einigen Journalisten im Konferenzraum eines Berliner Hotels und wirbt für das zweite Beatles Festival, in dessen Rahmen sie ihren Bildband "When we was fab" vorstellen wird. Man ist sich nicht sicher, ob sie sich in dieser Abgeordnetenreihe wirklich wohlfühlt. Zu ihrer Linken sitzt der stolze Veranstalter Bernhard Kurz, zu ihrer Rechten Herbert Hildebrandt, der auffällig jung wirkend wollende Sänger der Rattles. Als Frau Kirchherr auf ihren Bildband angesprochen wird, bekommt ihre Haltung Identität. Mit ruhiger Stimme bezeichnet sie ihr Buch als "sehr persönlich". Ihre Wortwahl ist eindeutig. Sie weiss, was verstanden werden soll. Später wird sie ihre Aussagen fast deckungsgleich wiederholen. Es ist ihr Buch. Eine Art Biographie in Bildern. Und das bedeutet: nicht nur Beatles. Sie ist nicht lediglich die Frau, die als erste die Beatles vor der Linse hatte, will sie verstanden wissen. Doch bei dieser Veranstaltung geht es um die Beatles. Ihre Mimik fährt sich nach dieser Auskunft wieder in Ruheposition. Man bekommt den Hauch eines Eindruckes wie Kirchherr mit 22 auf die Beatles gewirkt haben muss. Kühl, geheimnisvoll, unnahbar. Sie wird sich den jungen Rock and Rollern nicht gerade an den Hals geworfen haben.

Im Klappentext zu "When we was fab" erzählt sie, wie aufgeregt die Beatles vor dieser berühmten Fotosession auf dem Hamburger Dom gewesen waren. Sie hätten es sogar geschafft, irgendwo zu duschen, obwohl sie dazu eigentlich keine Möglichkeit gehabt hatten. Verständlich, war es doch ihr erster Fototermin, und Kirchherr muss mit ihrer Fotoausrüstung und ihrem Wissen über Kunst mächtig Eindruck gemacht haben. Aber wie Bono Vox (U2) einst treffend formulierte: "Wenn du 16 bist, denkst du, du könntest die ganze Welt erobern. Und manchmal hast du recht." Die Beatles hatten recht. Aber 1960 spielten sie noch Coverversionen, wie viele andere auch. Für Kirchherr war nicht abzusehen, dass sie diese Fotos auch 43 Jahre später noch beschäftigen sollten.

Kirchherr mag keine Eindimensionalitäten und lenkt das spärliche Gespräch von den Beatles auf die damalige Jugend: "Damals konnte man nicht in einen Laden gehen und sagen, ich hätte diesen oder jenen Schuh gern in schwarz. Es gab damals nichts für die Jugend. Wir mussten unsere eigene kleine Revolution starten (...)Wir haben keine Steine geworfen. Unsere Art zu provozieren war es, andere Kleidung zu tragen, andere Musik zu hören als unsere Eltern. Das war das Interessante an dieser Zeit. Im Kaiserkeller gab es diese Fraktion der Rocker, die mit ihren nach hinten gegelten Haaren ganz sensationell aussahen, individuell. Auch wenn das für mich nichts gewesen ist, so konnte ich mir doch etwas abgucken: eine schwarze Lederhose mit dem Reissverschluss hinten. Damit kam ich natürlich nirgendwo rein, in keinen Club, kein Café. Aber das war mir egal. Ich wollte provozieren." Sie bemängelt, dass es in Interviews mit ihr meist um nebensächliche Dinge gehe, "ob John Lennons Eltern wirklich im Keller lebten". Doch die Beatles sind für sie nur ein Teil dieser Zeit, ein Teil des damaligen Lebensgefühls, das die Fab Four nach aussen trugen und somit ihre ganze Generation infizierten. Sie will die Details nicht immer ohne das Gesamtbild sehen.

Signierstunde Astrid KirchherrEin paar Wochen später sitzt Astrid Kirchherr, wieder in schwarz, in einem anderen Raum dieses Hotels, auf einem Podest. Auf dem Tisch vor ihr liegen ein Edding Stift, ihre Zigaretten und daneben, aufgeschlagen, das inzwischen fertiggestellte Buch. Eines von 750 ledergebundenen Exemplaren. Es werde keine weiteren geben. Die Druckvorlagen wären kurz nach Fertigstellung zerstört worden. Eine Zweitauflage aufgrund grossen Erfolges kann es also nicht geben. Obwohl natürlich zu erwarten ist, dass ein solch limitiertes Buch, auch zu einem Preis von 420 englischen Pfund, seine Käufer finden wird. In dem langgezogen Raum, schreitet man an einigen ausgestellten Bildern des Buches vorbei, um sich von Frau Kirchherr ein Autogramm geben zu lassen. Das Interesse ist gross. Unter Beatles Fans schwingt beim Namen Kirchherr so etwas wie Ehrfurcht mit. Sie war der Fixstern der Hamburger Tage der Beatles. Sie war die Freundin des Beatles Bassisten Stuart Sutcliffe, der schon kurz darauf in ihren Armen sterben sollte. Auch wenn die sommerliche Kleidung der Schlangesteher nicht auf Ehrfurcht schliessen lässt, so sind kurze Plauschanfragen, die Kirchherr, aufgrund von Zeitmangel, freundlich aber bestimmt ablehnt, mit Anbetungen einer Heiligen vergleichbar. Doch wir sind hier nicht in Lourdes und Kirchherr versucht der Veranstaltung durch das Anbieten von Du´s und saloppem Ausdruck Normalität zu verleihen. "Wir fanden den Film Backbeat ganz toll", lassen zwei junge Mädchen wissen. Kirchherr stimmt zu, "und Stephen Dorff (der Hauptdarsteller, d.Red.) erst."


Autogramm

Dieser Film über die Anfangstage der Beatles, die von der Freundschaft John Lennons mit Stuart Sutcliffe geprägt waren, brachte auch Kirchherr wieder vor das Auge der Öffentlichkeit. Mit einem Abstand von dreissig Jahren beschäftigte sie sich wieder bewusst mit ihren Fotos, die sie in zahllosen Publikationen ihr ganzes Leben lang begleiteten. Eine von Jim Rakete initierte Wiederbelebung der Astrid Kirchherr zur Fotografin, Mitte der Achtziger, scheiterte an jungen Redakteuren, "die mit Schwarzweiss nichts anzufangen wussten", erzählt Kirchherr. Man sieht sie für einen Augenblick in schicken Redaktionsräumen stehen, die NDW gerade verebbt, Haarspray in der Luft, ihre Mappe in der Hand, ihr Name ungewürdigt. Eine Situation ausserhalb der Fotoalben dieser Welt. Man sagt Erfahrungen dazu. Sie war zu nah dran am Feuer der Beatles. Noch immer meint man den Geruch dieses Brandes an ihr zu riechen. So ergeht es One-Hit-Wondern, die bei der tausendsten Bitte "diesen einen Hit" zu spielen, keine Freude mehr am Musizieren haben.

Das aufgebahrte Buch bleibt völlig unbeachtet. Kaum jemand streift sich die bereitgelegten samtweissen Handschuhe über und blättert durch die Seiten, die Astrid Kirchherr sein sollen. Warum auch, wenn sie in persona daneben sitzt. Kirchherr macht kein Aufheben darum, steckt sich, sobald sich eine Gelegenheit bietet, eine Zigarette an. Das Buch ist stilistisch ganz in schwarz gehalten. Das Schwarz wurde sogar doppelt gedruckt. "Schwarz ist für mich eine Farbe", sagt sie, "ich liebe die Dramatik in ihr." Die ein- und ausleitenden Worte sind golden und die Bilder grossformatig, meist ausklappbar. "When we was fab" ist auch der Titel einer Single von George Harrison, in der er an die Anfänge der Beatles zurückreminisziert. Es steht in schlichten Lettern auf dem Einband. Eine Widmung an den inzwischen verstorbenen Beatle. Alles ist Vergangenheit in diesem Buch. Nur wie diese Vergangenheit präsentiert wird, ist neu. Zum ersten Mal sind die Bilder so zu sehen, wie es Kirchherrs Ästhetikempfinden entspricht. Zu lange waren diese Motive aus der Hand gegeben.

In ihren Stuhl zurückgelehnt, stösst Kirchherr immer wieder in gleicher Weise ruhig den Rauch aus. Ihre Stimme hat eine mantra-artige Melodie, eine leise, eigene. Sie ist auf der Hut vor den immer wiederkehrenden Fragen. Das ist das, ihr von der Geschichte zugewiesene, Terrain. Sie erwähnt zwischendurch, dass sie diesen Beatles-Haarschnitt gar nicht erfunden hat, ohne dass man fragen müsste. Man merkt, dass sie sich so weit wie möglich heraushalten will. Sie äussert sich mit grösserer Freude zu den Liverpooler Kinderbildern als zu den Portraits der Band. Warum da nicht mehr unveröffentlichte Bilder der Jahrmarktsession zu sehen seien? Falsche Frage. Hätten die restlichen Bilder Kirchherrs Qualitätsstandard entsprochen, hätte sie sie schon früher veröffentlicht. Sie hat recht.

Da es sich sozusagen um eine Biographie in Bildern handelt, gibt es nicht nur Bilder der Beatles zu sehen. Rory Storms Portrait findet sich hier, oder Aufnahmen Liverpooler Kinder Anfang der Sechziger. "Anstatt einer Kurzbiographie, geboren in Hamburg, Fotolehre, etc. habe ich eine Liste der Menschen erstellt, die mich beeinflusst haben", weist Astrid Kirchherr gesondert auf den Klappentext hin. Auf diese Idee ist sie sichtlich stolz. "Alles was neu und frisch ist, inspiriert mich." Roman Polanski existiert hier neben Jay Kay von Jamiroquai, Fotografen neben Musikern neben Schriftstellern. Die Idee eines Lebens als Summe der Einflüsse. Sie erzählt, wie die Fotografin Diane Arbus sie mit ihren Schwarzweiss Bildern beeindruckte, oder wie sehr sie eine Szene aus Jean Cocteaus "Les enfants terribles" immer wieder rührt, wo eine Klasse von Schülern mit schwarzen Capes im fallenden Schnee festgehalten ist. "Jede Szene ist wie ein Foto!", schwärmt sie, nach aussen nicht sichtbar, aber nachfühlbar. Das scheinbar Unaffektierte passt zu ihr. Astrid Kirchherr würde mit schwarzem Cape im Neuschnee, vor Beton, ein betrachtenswertes Image abgeben. Sie ist wie eine Hüterin der alten Werte und Träume ihrer Generation, zumindest derer der Exis.

Schwarz ist die Farbe der Mystik, des Mythos, der märchenhaften Welt. Sie ist der Widerspruch zum Hellen, das Unbestimmbare, das Dunkle an sich. Astrid Kirchherr glimmt sich einen Weg durch das Dunkel, pfeift nicht aus Angst im Keller, sondern weil es ihr so gefällt.



Astrid Kirchherr 2003
Astrid Kirchherr 2003

Text: Christian Biadacz

Bilder: Thomas Kretzschmar

Mehr zu Astrid Kirchherr: She Loves You Fanzine (Englisch)

Den Bildband "When we was fab" (Genesis Publications) gibt es auf den Seiten von Genesis Publications zu bestellen (Genesis Link) oder per Mail im Hamburger Beat-Spezialitätenladen anzufragen (info@center-of-beat.com)

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