REPORTAGEN
Ein Steckenpferd lernt springen
Dirk Darmstädter und Bernd Begemann [ November 2003 ]
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"Handy aus, Du Lutscher!" ruft ein vortrefflich gelaunter Bernd Begemann einem telefonisch erreichbaren Zeitgenossen zu. Wer nicht hören will, soll gehen. Begemann ist da immer so, gibt auch schon mal jemandem Geld, damit Störenfriede seine Konzerte verlassen. Auch heute abend wirkt die gewisse Autorität, die der Pate der deutschsprachigen Musikszene besitzt. Überall im Goldies werden, wie beiläufig, die Mobiltelefone aus den Jackentaschen gefischt und stumm geschaltet. Freunde und Pressevertreter sind in dieser Rockerkneipe, in Hamburgs Neustadt, zusammengekommen, um sich die Livepremiere der Zusammenarbeit von Begemann und Dirk Darmstädter anzusehen. Sie haben eine CD namens "This road doesn´t lead to my house anymore" produziert, die, im Geiste des Country, Coverversionen und neue Kompositionen vereint. Country..? Ja, aber keine Angst. Schwarz und Weiss haben auch in der Musik als Farben der Weltsicht so langsam ausgedient. Sei es beim Schlager, bei Abba, The Carpenters oder letztens bei Johnny Cash. Was mal mit ziemlicher Sicherheit in der Öffentlichkeit als krude bezeichnet werden durfte, wehrt sich gegen einseitige Sichtweisen. Jetzt ist Country Musik an der Reihe. Und Cash war da vielleicht ein Vorreiter. Schon vor seinem kürzlichen Tod stellte er immer wieder selbst Weichen und verliess die Trassen der eindeutigen Country-Schiene, näherte sich verschiedenen Musikstilen und schuf somit eine Verbindung. Musikstile sind ja im Endeffekt nur Präsentationsformen von Liedern. Je besser der Song umso grösser die Möglichkeiten ihn auf verschiedenste Arten vorzutragen. Und dieser Weichen bedienen sich auch Begemann und Darmstädter. Doch die Schattierung von Schwarz und Weiss ist noch im Prozess begriffen. Während diese Zeilen geschrieben werden, willigt man mit einer Country Platte noch in einen stupiden Truck Stop Vergleich ein, der zwar nicht haltbar ist, aber überwunden werden muss. Es scheint keine Besseren dazu zu geben als diese beiden (man kann schon sagen) Hamburger Musikurgesteine. Den Countryabend eröffnet Begemann mit einem lautstarken "Rock and Roll!" und stachelt sein Publikum an: "Macht Krach, macht Krach!"

Das Goldies ist denn auch mehr Rockerschuppen als Truckerspelunke mit Table Dance. Jack Daniels ist allgegenwärtig, sogar als Holzstatue anbetbar. Mindestens 100 leere Whiskey Flaschen, auf einem Balken unter der Decke, erzählen von durchzechten Nächten in Lederkluft. Die Wände sind voll von Motorradteilen und mittendrin eine Ami-Flagge mit Springsteens "Born in the USA". Hinter der Bühne erfüllt ein Bullenkopfskelett, mit rot leuchtenden Augen, das letzte Klischee. Dahinter der Barmann: gross, hager, Lederweste, die langen Haare zum Zopf gebunden. Man muss ihn nicht gesehen haben um genau zu wissen welchen Typ Mensch ich meine. Und obwohl hier eher von M wie Motley Crüe bis M wie Motörhead buchstabiert wird, passen die beiden Country Boys ganz gut her. Das Goldies ist ein Ort jenseits aller Moden, ist nur seiner Sache verbunden, ehrlich und ein in sich geschlossenes Universum, das sich um die passierenden Planeten nicht scheren muss. Klingt dick aufgetragen und bis ins Letzte idealisiert. Aber wenn man sich einer Stimmung hingibt, dann doch wohl richtig.

Bernd Begemann und Dirk Darmstädter Das Bühnenterrain ist gleich neben der Bar. Soviel Platz, dass sich die Schuhe der Musiker nur berühren, eine 6er Steckdose voll Strom und jede Menge Funkeln in den Augen. Aber Dirk und Bernd haben Glück. Folke Jensen an der Steel-Guitar beschränkt seine Bewegungen im wesentlichen auf Kopfnicken, und Frank Schmiechen am Bass orientiert sich an ihm. Sie konzentrieren sich auf ihr souveränes Spiel und lassen den Protagonisten die wenige Bewegungsfreiheit, während Lars Plogschties (von der Band Besser) am Schlagzeug the time of his life has. If you know what I mean. Begemann ganz zeitloser Dandy im hellen Anzug, Darmstädter leger in Hemd und Cordsakko. Sie spielen das Album von vorne bis hinten durch. Einen Tisch haben sie besonders in der Hand. Von dort ertönt ab und an ein lautes "Yeeha!". Die Runde prostet den Musikern dann mit ihren Bierkrügen zu und Begemann macht ihnen den Rock n Roller, versucht den Hüftschwung und steppt eine elegante Figur. Darmstädter ist eher der Mann für die Anekdoten und erzählt von Musikern, die in Cessnas abstürzten. Das Publikum wird mit jedem Lied euphorischer und muss beim letzten Lied zur Ruhe gemahnt werden. "True Love is quiet", ein Beitrag von Begemann, ist das absolute Highlight des Albums. Es ist von einem Klassiker nicht zu unterscheiden. Die Grenze zwischen Coverversion und Eigenkomposition ist grün und von den Künstlern passierbar gemacht. Das Lied braucht Atemlosigkeit: "How dare I speak my heart when I´m just a noisy fool?"

Dirk Darmstädter sieht schwer zufrieden aus. Da hat er sich den richtigen Kompagnion für dieses Projekt ausgesucht. Begemann singt ja normalerweise fast ausschliesslich deutschsprachige Lieder, demonstriert hier aber, dass er wahrlich nicht nur ein Genrekünstler ist. Die beiden kennen sich bereits seit Mitte der Achtziger Jahre. Sie liefen sich im Hamburger Hafenklangstudio über den Weg. Begemann kam gerade aus Bad Salzuflen, um die, damals doch sehr grottige, deutschsprachige Musik zu retten. Von seiner Vorarbeit profitierten in der Folge jede Menge inzwischen bekannter deutschsprachiger Bands, die den meisten als Hamburger Schüler bekannt sein dürften. Darmstädter hatte gerade eine Band, The Real Thing, am Start, die wenig später als The Jeremy Days internationalen Erfolg haben sollte. Beide outeten ihre Liebe für "mainstreamigen Country-Pop", erzählt Darmstädter gegen später, "die Ansatzpunkte für diese Platte sind auch nicht irgendwelche obskuren Country Bluegrass Leute, die sozusagen cool sind, sondern Glenn Campbell, Tammy Wynette oder Jimmy Groce. Die sind vielleicht nicht die Coolsten aller Coolsten, aber die Art grosser Geschichtenerzähler, die grosse Künstler waren."

Nicht nur Zaungäste des Country Die Platte hatte sozusagen eine Menge Zeit um zu wachsen. Von der ersten Beichte ihres ausgefallenen Musikgeschmackes über zwei Band- und zwei Solokarrieren bis hin zum Anfang dieses Jahres als das Projekt geplant wurde. Anders wäre es auch verwunderlich gewesen, wie ein Seitenprojekt so ausgereift klingen kann. Ich erinnere mich dabei an eines der letzten Jeremy Days Konzerte im Sommer 1995. Die Band wähnte sich aufgrund einer Panne beim vorherigen Gig besonders spielfreudig. Ich hatte damals immer das Glück solche Konzert zu erwischen und kenne damit ein leidlich absolviertes Jeremy Days Konzert nicht. Die Bilder dieser Zeit sind verschwitzt, ausgelaugt und hängen wie die ausgewrungenen T-Shirts zum Trocknen im Hinterstübchen. Irgendwann nach zweieinhalb Stunden kam die Band an die Grenzen von Kraft und Repertoire. Als das Publikum dennoch nicht müde wurde lautstark eine weitere Zugabe zu fordern, kam Darmstädter schliesslich allein mit einer Akustikgitarre auf die Bühne und spielte eine Ballade mit etlichen Strophen. Es ging um einen einsamen Singer/Songwriter on the road. Und das war im Grunde genommen schon sehr nahe an dem was er uns heute auf dem Country-Album bietet. Sein Steckenpferd hat springen gelernt.

Applaus brandet auf. Natürlich wollen auch die Leute im Goldies Zugaben haben. "Hey, lass uns doch das Stück spielen, für das es auf der Spitaler Strasse das meiste Geld gab", schlägt Begemann vor. Die Spitaler Strasse ist eine beliebte Strassenmusikermeile in Hamburg. Das Publikum johlt. Ihr Gitarrenkoffer würde dort bestimmt nicht leer bleiben. Zum Abschluss gibt es eine wenig bekannte Freddy Quinn Nummer zu hören: "So war das jede Nacht". Ein Rockabilly Stück, eine B-Seite. "Freddy Quinn war ein Rock n Roll Fan damals", erzählt Darmstädter, "und so wie die meisten Künstler verdammt Schlagersachen zu machen. Auf den B-Seiten hat er sich dann ausgetobt." Den Hamburgern scheint der Song jedoch ganz geläufig. Mancher singt sogar mit. Die beiden haben diesen Abend eindeutig für sich entschieden. Eine Generalprobe nach Mass, kein Freak-Act, keine Kuriositätenschau. Einfach nur gute Musik. Lieder mit melancholischem Inhalt, ganz dem Ursprung des Country auf der Spur, als einsame Cowboys sich das Herz mit traurig schönen Balladen leichter machten. Und letztenendes ist der herumziehende Musiker vom Cowboy gar nicht so weit entfernt.


Ein Tag im Kornfeld


Text: Deniz Ünlü und Christian Biadacz

Bilder: Pressefreigaben

Mehr zu Dirk Darmstädter unter www.dirkdarmstaedter.com

Mehr zu Bernd Begemann unter www.berndbegemann.de

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